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Deutsch – Ellul

Willkommen auf der deutschen Seite über Jacques Ellul. Wenn Sie Empfehlungen für diese Seite abgeben oder Fragen zu Ellul haben möchten, wenden Sie sich bitte an Christian Wehrmann in Berlin: Ellul@gmx.de

Diese Seite enthält…

 

War hat Angst vor Jacques Ellul?

Zur kargen Rezeption J. Elluls in Deutschland

In den 50er und 60er Jahren entwickelt sich in der deutschen Sozialwissenschaft, Impluse aus Frankreich aufnehmend, eine Diskussion zur Technokratie, der Herrschaft der Technik.  Der konservativen Soziologen Helmut Schelsky greift in seinen maßgabelichen Beiträgen dabei auch auf Thesen Jacques Elluls zurück, Ellul wird in Deutschland als Technikkritiker und politischer Denker wahrgenommen und zitiert, es folgen Übersetzungen einiger seiner Werke, die bis die Mitte der 70er Jahre andauern. Danach reißt das Interesse ab. Die Technokratie-Debatte ist lange beendet, und Elluls radikale Technikkritik (und sein darin eingewebter christlicher Glaube) scheinen zu sperrig geworden zu sein. Auch politisch ließ sich der Christ, der frühe Ökologe, Anhänger der Selbstverwaltung, Politikverächter und Kritiker des realen Sozialismus nur schwer einordnen. Seine im angelsächsischen Raum wirkmächtigen Hauptwerke (Die technologische Gesellschaft, Der technologische Bluff) bleiben übersetzt. Das war und ist bedauerlich. Heute wird Ellul nur vereinzelt im Kontext anarchistischer Studien als Untersuchungsobjekt oder als früher Vordenker der Wachstumskritik gewürdigt. Das ist erfreulich, aber es gibt in seinem Werk noch sehr viel mehr zu entdecken. Angst haben muss jedenfalls niemand vor Ellul. Vielleicht können die deutschsprachigen Informationen auf dieser Seite einen Beitrag dazu leisten, die Neugierde auf Jacques Ellul in Deutschland wieder zu wecken und eine erneute Beschäftigung mit seinem Werk zu eröffnen.

 

1. Werke Elluls in deutscher Übersetzung

Die theologische Begründung des Rechtes. Hrsg. von Otto Weber. Kaiser, München 1948 (Übersetzung von Le Fondement théologique du droit, Delachaux et Niestlé, Neuchâtel 1946 )

Leben als moderner Mensch. Übersetzt von Barbara Marx. Zwingli, Zürich 1958 (Übersetzung von Présence au monde moderne. Roullet, Genf 1948)

Die Technokratie, in: Maier, Hans; Ritter, Klaus; Matz, Ulrich (Hrsg.): Politik und Wissenschaft Münchener. Studien zur Politik, Bd. 17, Beck, München 1971

Von der Revolution zur Revolte. Hrsg. von Kurt Sontheimer. Hoffmann & Campe, Hamburg 1974 (Übersetzung von De la révolution aux révoltes. Calmann-Lévy, Paris 1972) 

Verrat am Abendland. Geist und Ungeist im Widerstreit. Hrsg. von Franz von Joachim. Seewald, Stuttgart 1978 (Original: Trahison de l’Occident. Calmann-Lévy, Paris 1975) 

Apokalypse: Die Offenbarung des Johannes. Enthüllung der Wirklichkeit. Übersetzt von Jörg Meuth. Neukirchener, Neukirchen-Vluyn 1981 (L’Apocalypse. Une architecture en mouvement. Desclée de Brouwer, Paris 1975) 

„Wenn du Gottes Sohn bist …“ Leiden und Versuchungen Jesu. Übersetzt von Jörg Meuth. R. Brockhaus, Wuppertal 1991 (“Si tu es le fils de Dieu.” Souffrances et tentations de Jésus. Le Centurion, Paris 1991)

Propaganda. Wie die öffentliche Meinung entsteht und geformt wird. Übersetzt von Christian Driesen. Westend, Frankfurt 2021 (Propagandes, Paris 1962) (im Erscheinen)

 

2. Sekundärliteratur zu Ellul (Auswahl):

Schelsky, Helmut: Rezension zu: La Technique ou l’enjeu du siècle by Jacques Ellul, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 43. Jg., Heft 3, 1957, Seite 433-438

Klages, Helmut: Das Risiko der Kulturkritik: Über die Chancen einer kontrollierten Imagination von Entwicklungsprozessen, in: Soziale Welt,17. Jg., Heft 2, 1966, Seite 97-110

Langenegger, Detlev: Gesamtdeutungen moderner Technik: Moscovici, Ropohl, Ellul, Heidegger. Eine interdiskursive Problemsicht. Königshausen & Neumann, Würzburg 1990

Rapp, Friedrich: Jacques Ellul, in: Christoph Hubig, Alois Huning, Günter Ropohl (Hrsg.): Nachdenken über Technik. Die Klassiker der Technikphilosophie und neuere Entwicklungen. 3., erw. Auflage. Edition Sigma, Berlin 2013, Seite 136-139

Marin, Lou: Biblischer Anarchismus. Der Zusammenhang Christentum-Gewaltfreiheit-Anarchismus bei Jacques Ellul (1912–1994). In: Sebastian Kalicha (Hg.): Christlicher Anarchismus. Facetten einer libertären Strömung. Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2013, S. 147-172

Hieronimus, Marc: Global denken, lokal handeln. Jacques Ellul (1912 – 1994), in: Lichtwolf, Nr. 59, Herbst 2017, S. 81-87 (zu beziehen unter: www.catware.net)

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Eine Biografie Jacques Elluls (1912–1994)

Von Patrick Chastenet

Das Motto „Global denken, lokal handeln“ war für Jacques Ellul zeit seines Lebens eine Richtschnur. Er sagte von sich, dass er zwar durch Zufall am 6. Januar 1912 in Bourdeaux geboren worden war, die Entscheidung, hier sein ganzes akademischen Leben zu verbringen, aber eine bewusste Wahl war. Nach langer Krankheit starb er am 19. Mai 1994 in seinem Haus in Pessac, nur wenige Kilometer vom Campus der Universität entfernt, umgeben von seinen Nächsten. Kurz vor seinem Tod war die medizinische Behandlung seiner Krankheit an Grenzen gestoßen, und dies bestätigte ihm abermals eines seiner wesentlichen Denkmotive: die Ambivalenz des technologischen Fortschritts. 

Jacques Ellul war tief verwurzelt in seiner Heimatregion im südfranzösischen Aquitanien, doch seine kosmopolitische Abstammung machte ihn immun gegen jedwede nationalistischen Aufwallungen. Seine Großmutter väterlicherseits stammte aus Serbien, aus der Familie Obrenovic. Sein Großvater war Italiener aber kam aus Malta, und sein Vater, der aus Triest stammte, besaß sowohl die österreichische als auch die britische Staatsbürgerschaft. Seine Mutter war die Tochter einer Französin und eines Portugiesen mit dem Namen Mendès.  

Ihre Wege kreuzten sich in Bourdeaux wo Elluls Vater im Anschluss an sein Studium in Wien als Repräsentant eines Weinhändlers namens Louis Eschenhauer angestellt worden war. Seine Mutter gab Kunstunterricht an einer Privatschule. Die wenig kompromissbereite Persönlichkeit seines Vater sorgte in der Folge dafür, dass dieser immer längere Zeit arbeitslos war. 

Elluls Kindheit war daher arm, aber glücklich. Seine Erziehung war darauf angelegt, ihn zu Höherem befähigen. Im Gymnasium (am Lycée Longchamp, heute Lycée Montesquieu) war er Klassenbester. Und wenn die Hausaufgaben erledigt waren, erlaubte ihm seine Mutter, an den Docks von Bordeaux oder in den Sümpfen von Eysines herum zustromern.  

Die Familie lebte nahe des Jardin Public, wo er und seine Klassenkameraden aus der öffentlichen Schule sich regelmäßig heroische Schlachten mit den Jungen der katholischen Privatschule lieferten. In späteren Jahren wurde Ellul dennoch zum Anwalt der Gewaltlosigkeit und, um genauer zu sein, der sog. „Nicht-Gewalt“.

 

Ellul zeigt hervorragende Leistungen in Latein, Französisch, Deutsch und Geschichte und  machte im Alter von siebzehn Jahren sein Abitur am Lycée Montaigne. Er will eine Offizierslaufbahn bei der Marine einschlagen, aber sein Vater drängt ihn zum Studium der Rechtswissenschaft. Zu Beginn seines Studiums liegt Ellu ein Bekenntnis zum Christentum noch fern, sein Glauben entwickelt sich erst mit der Zeit zu seiner späteren Form. Doch am 10. August 1930 hat er eine Vision Gottes, den genauen Inhalt dieses Bekehrungserlebnisses gibt er auch in den Jahren danach nie preis. Es folgen während des Studiums weitere schicksalhafte Begegnungen, die sein weiteres Leben prägen: er trifft zum einen Bernard Charbonneau, zum anderen lernt er seine spätere Frau Yvette kennen,  mit der er 4 Kinder hat: die frei Jungen Jean, Simon und Yves, sowie die Tochter Dominique.  

Ellul und sein Freund Charbonneau entwickeln gemeinsam eine „gasconische“ Variante des Personalismus Emmanuel Mouniers (Ellul sieht diese vor allem als das Werk von Charbonneau, zu dem er nur am Rande beigetragen habe).  Die Originalität ihres Ansatzes wird heute von Ideenhistorikern hervorgehoben. Als Vorreiter der „politischen Ökologie“ kritisieren die beiden die moderne Gesellschaft aus “libertär-anarchistischer” Perspektive. Jacques Ellul will aus der von Mounier herausgegebenen Zeitschrift „Esprit“, die sich vor allem an ein intellektuelles Pariser Publikum wendet, ein Organ einer wirklich revolutionären Bewegung machen, die regional  und in kleinen, autonomen Gruppen organisiert sein soll. Ellul bricht schließlich mit Mounier, vor allem dessen kompromissloser Katholizismus stößt ihn ab.

Ellul nahm 1935 an einer Kundgebung in Deutschland teil, verblüfft von der Menge, die als Einheit fungierte.

Nachdem er 1936 mit einer rechtswissenschaftlichen Arbeit über “Die Geschichte und die Rechtsnatur des Mancipiums” promoviert hat, beginnt Ellul an der juristischen Fakultät in Montpellier zu unterrichten (1937-1938). Es folgen akademische Stellen in Straßburg und in Clermont-Ferrand.

1940 wird er von der Vichy-Regierung entlassen, da sein Vater behördlich als “Ausländer” klassifiziert wird. Er zieht daraufhin in die Region Entre-deux-mers, zwischen den Flüssen Garonne und Dordogne gelegen. In dem kleinen Dorf Martres wird er in der Résistance aktiv und beginnt Landwirtschaft zu betreiben, um die Familie zu ernähren. Später wird er auf eine ersten eigenen Kartoffeln genauso stolz sein, wie auf die Lehrbefugnis für römisches Recht an Universitäten, die er 1943 erhält. 

Vichy-Regime: Juli 1940 – September 1944

Nach dem Krieg wird Ellul kurzzeitig Mitglied der provisorischen Stadtverwaltung von Bordeaux (31. Oktober 1944 bis 29. April 1945), bleibt aber danach jeglicher Parteipolitik fern, mit Ausnahme einer erfolglosen Episode als Kandidat der „Union Démocratique et Socialiste de la Résistance“ im Oktober 1945. Sein gesellschaftliches Engagement aber führt er fort. Ellul will seine Idee des „Christseins in der modernen Welt” weiterentwickeln – in Abgrenzung zu konservativen theologischen Ansätzen ebenso wie den Befreiungstheologen. Er ist bis Anfang der 70er Jahre im Nationalrat der Reformierten Kirche Frankreichs, bleibt aber im französischen Protestantismus doch eine Randfigur. Von 1958 bis 1977 ist er Vorsitzender eines Vereins gegen Jugendkriminalität und engagiert sich in der Ökologiebewegung, etwa für den Schutz der Küste von Aquitanien.

Neben seinem gesellschaftlichen Engagement verfasst er eine Vielzahl von Publikationen: fast tausend Artikel und etwa fünfzig Bücher, die in mehr als zwölf Sprachen übersetzt werden, entstehen.  „Die technologische Gesellschaft“, der erste Band seiner Trilogie zu diesem Thema, erscheint 1954 in Frankreich. Aldous Huxley („Brave New World“) entdeckt das Buch und sorgt für seine Verbreitung in der englischsprachigen Welt. Gut zehn Jahre später ist er an US-Universitäten kein Unbekannter mehr und bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1980 strömen Scharen von amerikanischen Studierenden, v.a. aus Kalifornien, in seine Seminare in Frankreich. Ellul ist ein anspruchsvoller, zu Diskussionen stets bereiter Professor. Er legt seine Auffassungen nüchtern dar und gibt Seminaren zu Technologie und Gesellschaft, Propaganda und zu Marx und marxistischen Denkströmungen in Ost und West.  

Ellul war ein engagierter Intellektueller, der sich an den Debatten seiner Zeit beteiligte und sich mit pointiert-polemischen Artikeln an die breite Öffentlichkeit in Frankreich wandte. In Zeitungen und Zeitschriften wie „Réforme“, „Quotidien de Paris“, „Ouest-France“ und „Sud-Ouest Dimanche“ war er regelmässiger Autor. Seine fünfbändige „Geschichte der Institutionen“ wurde von Generationen französischer Universitätsstudenten gelesen. Das Buch, das ihm jedoch am meisten bedeutete, war „L’espérance oubliée“ (1972, Die vergessene Hoffnung).

Es scheint kaum möglich, den Soziologen Ellul vom Theologen Ellul zu trennen, dessen Tonfall oft bewusst prophetisch war. Der Zeitung „Le Monde“ sagte er in 1981: “Ich beschreibe eine Welt ohne Ausweg, aber mit der Überzeugung, dass Gott den Menschen durch seine Geschichte begleitet.” Der Autor von „La foi au prix du doute“ (1980; Glauben um den Preis des Zweifels) ist mit dieser mit dieser Gewissheit gestorben.

Dieser kurze Text ist eine gekürzte und vorläufige Fassung der Biographie von Jacques Ellul, geschrieben von Patrick Chastenet und übersetzt von Lesley Graham.

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Ellul und die Technik

Technologie ist nicht dasselbe wie Technik!

Aus der Einleitung von Jacques Ellul „Recherche pour une Ethique dans une société technicienne,” Morale et Enseignement (1983), Seiten 7-20

Um keine Unklarheiten entstehen zulassen, mag es angebracht sein, noch einmal zu verdeutlichen, was ich mit „Technik“ meine – und was oft fälschlicherweise als “Technologie” bezeichnet wird (siehe auch „La Technique ou l’enjeu du siècle“ (1954), Le Système technicien (1977)). Die Technik zeigt sich weder nur in einer einzelnen Maschine, noch lässt sie sich auf eine bestimmte Menge von Maschinen und technischen Methoden und Anwendungen reduzieren. Die Technik ist nicht länger ein sekundärer Faktor, der in eine nicht-technische Gesellschaft und Zivilisation eingebettet ist, sondern sie ist zum bestimmenden Moment in der westlichen Welt geworden, so dass wir von unserer Gesellschaft als besten als der “technischen Gesellschaft“ sprechen. Es ist die Technik, von der alle anderen gesellschaftlichen Faktoren abhängig. Die Technik ist nicht länger eine irgendwie vorhandene oder unvollkommene Vermittlungsinstanz zwischen Mensch und Natur. Die Letztere wird in den westlichen Gesellschaften total beherrscht und ausgebeutet. Die Technik bildet heute eine eigene Sphäre, die die unmittelbare Natur ersetzt. Technik stellt einen komplexen und vollständigen Lebensraum dar, in dessen Horizont der Mensch lebt und im Verhältnis zu dem er sich definieren muss. Die Technik ist universeller Vermittler, der allgemeine Vermittlung produziert, immer umfassender und nach Totalität strebend. Als Beispiel hierfür können wir die modernen Stadt betrachten. Die Stadt ist heute der Raum, in der die Technik alle direkte Natur ausgeschlossen hat. Jenseits der Stadt gibt es für ländliche Räume nur die Wahl zwischen Urbanisierung oder Verödung (wenn die technische Ausbeutung der Natur durch kleinen Gruppen auf die Spitze getrieben wird). Dies zeigt noch einmal, das die Technik heute der Lebensraums des modernen Menschen ist. Die technische Welt stellt den Menschen, sein Verhalten und seine Fähigkeiten auf den Prüfstand (vgl. G. Friedman, Sept études sur l’homme et la technique). Auf der anderen Seite konstituiert die Technik ein System im strengen Sinn (vgl. Bertalanyffy), sozusagen ein Ensemble von Elementen, die eng mit einander verbunden sind:

Wir müssen die Technik also als ein System betrachten. Die Merkmale dieses System sind Autonomie, Einheit, Universalität, Totalität. Die Technik gehorcht einer spezifischen Rationalität. Die Charakteristika des technischen Fortschritts sind Selbsterhalt, Automatisierung, Überwindung aller Grenzen, stetiges, sich beschleunigendes Fortschreiten sowie eine innere Vielschichtigkeit und Ambivalenz. Trotz dieser komplexen Attribute fehlt der Technik aber eine wesentliche Eigenschaft, die in jedem selbstorganisierten System zukommt, die Fähigkeit zur Reflexion und Reaktion. Sie ist noch nicht in der Lage, ihre Fehler und Unzulänglichkeiten zu kontrollieren, auf deren Ursachen zu reagieren und sich selbst zu modifizieren. Möglicherweise befinden wir uns jetzt aber in einer Phase, in der eine solche reaktive Fähigkeit des System sich entwickelt. Das Nachdenken über Moral und menschliche Verantwortung  muss das Verhältnis zu diesem umfassenden Systems berücksichtigen und kann sich nicht mit der Relevanz  auf dieses oder jenes technischen Einzelobjekts zufrieden geben. Wie man eine bestimmte einzelne Technik „richtig“ oder „gut“ gebraucht ist irrelevant, da jede Technik nur innerhalb des technischen Systems verstanden werden kann. Wenn Technik Lebensraum und System ist, können Fragen nach der menschlichen Verantwortung nur mit Bezug auf dieses globalen Prozess beantwortet werden. Unser Verhalten und unsere Entscheidungen als Individuen haben nicht länger größere Bedeutung. Was wir brauchen ist eine Umwälzung unserer Denkgewohnheiten und Werte, die Wiederentdeckung einer existenziellen Ethik oder einer neuen Ontologie.

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Auszug aus… A Synopsis and Analysis of the Thought and Writings of Jacques Ellul by James Fowler, ©2000. All rights reserved.

Technik

Ellul sieht die gegenwärtige Gesellschaft vor allem durch das Wirken der Technik bestimmt und beherrscht.  Sein Freund Bernard Charbonneau hatte ihn bereits 1935 auf die “Technik” als das wichtigste Phänomen aufmerksam gemacht, den jedes soziologische Verständnis der Gesellschaft berücksichtigen muss, und Ellul merkt an, dass Karl Marx, wenn er diesen gesellschaftlichen Faktor richtig verstanden hätte, er die “Technik” als treibende Kraft seiner sozialen Dialektik gesetzt hätte und nicht materielle Ungleichheiten. 

Nicht wenige Kritiker Elluls haben seine technikzentrierte Diagnose der sozialen Probleme der Welt missverstanden und fälschlicherweise angenommen haben, dass er die Technik angreife. Seinen Grund hat diese Missverständnis bei seinen englischsprachigen Lesern in einem Übersetzungsfehler seiner Bücher. Sein einflussreichstes soziologisches Buch mit dem englischen Titel “The Technological Society” (Die technologische Gesellschaft) trägt im Französischen den Titel “Technique, the Stake of the Century” (Technik als Schicksal unseres Jahrhunderts). Technik aber ist nicht dasselbe wie die Technologie; weder im Französischen, noch im Englischen. Es ging Ellul nicht um die einzelne Technologien oder Maschinen, sondern darum, zu zeigen, wie die Gesellschaft notwendigerweise durch den Einsatz von auf Effizienz zielende Methoden und Techniken gefangen ist. Technologien sind ein Ausdruck und ein Nebenprodukt des zugrundeliegenden Vertrauens auf Technik und auf technische Prozesse, die alles organisieren und verwalten, um möglichst effizient zu funktionieren und auf das letzte Ziel höchster Produktivität  gerichtet sind. Elluls eigene Definition der Technik findet sich im Vorwort von „The Technological Society“: “Technik ist die Gesamtheit aller Methoden, die sich durch ihre Rationalität auszeichnen und (auf einer gegebenen Entwicklungsstufe der Gesellschaft ) in jedem Bereich menschlicher Tätigkeit auf eine absolute Effizienz abzielen.”

In Elluls theologischer Sicht nahm die Technik notwendigerweise mit dem Sündenfall des Menschen ihren Anfang. Aber im 18. Jahrhundert weitet sich die Rolle der Technik im gesellschaftlichen Leben dramatisch aus – die Suche nach den effizientesten Verfahren und die Wahl der einen besten Methode wurde in allem menschlichen Streben das bestimmende Motiv. Im 19. Jahrhundert erkannte die Bourgeoisie das Potential der Technik zur Durchsetzung ihrer  materiellen und wirtschaftlichen Interessen. Der industrialisierte Einsatz der Technik entwickelt sich in der urbanen und technologischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts zu einem Monstrum, zum “Schicksal des Jahrhunderts”, nach einer Formulierung von Ellul. Technik wird zur bestimmenden Kraft und zur ultimativen Norm einer neuen Gesellschaftsordnung, in der Effizienz nicht mehr nur eine Option, sondern eine absolute Notwendigkeit in allen menschlichen Aktivitäten ist. Die Technik wird in der modernen Gesellschaft universal und total, rationale Prozesse erzeugen eine Funktionslogik, die alles quantitativ statt qualitativ misst und berechnet. Wie ein Krebsgeschwür  einen Organismus durchdringt die Technik systematisch jede Zelle unserer modernen technischen Gesellschaft. Sie schafft in dieser Invasion gleichzeitig die Illusion, dass sie ein Befreier des Menschen sei, und ihm nützliche Werkzeuge bereitstelle, mit der er die Grenzen seiner Natur hinter sich lassen kann. In scharfem Kontrast dazu meint Ellul: „die Technik versklavt die Menschen, indem sie ihnen eine bloße Illusion von Freiheit verschafft, und sie gleichzeitig unerbittlich an die technologische Gesellschaft und den Komplex künstlicher Funktionsimperative anpasst.“

 

Jacques Elluls soziales und politisches Engagement  Elluls_Engagement_German.docx

 

Von der Apokalypse nach Utopia — Die Entwicklung von Elluls Theologie 

von Darrell J. Fasching, Professor (em.) der Religionswissenschaft, University of South Florida, Tampa

Ellul and Utopia_Theology_german.docx